Interesse an Brecht wieder wecken
Mitglieder des Fördervereins der Syker Stadtbibliothek hatten sich zum 125. Geburtstag Bertolt Brechts so einiges einfallen lassen. Ihre Hommage an den nicht unumstrittenen Dramatiker fand großen Anklang.
Syke. Eine reine Lesung wäre zu wenig an einem Abend über Bertolt Brecht. Denn ohne die Dreigroschenoper geht Brecht natürlich nicht. Und so wurde Tanja Riekenberg kurzerhand zur Seeräuber-Jenny und sang zu Klaviertönen von Sören Tesch auch noch die Geschichte von Mackie Messer. Die Dreigroschenoper als sozialkritisches Theaterstück ist eines von Brechts bedeutendsten und bekanntesten Werken. Sie durfte daher nicht fehlen, als der Förderverein der Syker Bibliothek zum 125. Geburtstag Brechts eingeladen hatte.
Das Interesse war so groß, dass in der Bücherei kurzerhand Regale verschoben werden mussten, um die Besucher-Stühle unterzubringen. Neben Riekenberg trugen sieben weitere Personen Geschichten und Gedichte von Brecht vor. „Es sind unsere Lieblingsstücke von ihm“, hatte Doris Fröleke, als ehemalige Deutschlehrerin dem Thema quasi verpflichtet, den Abend eingeleitet: „Wir wollen das Interesse an Brecht wecken.“ Das, so war später überall im Publikum zu hören, war gelungen.
SOZIALKRITISCHER SCHRIFTSTELLER
Bertolt Brecht war sozialkritisch, vorausschauend, sarkastisch, erfindungsreich und vielfältig, dabei aber keinesfalls unumstritten. „Auch sein Verhältnis zu Frauen wurde oft thematisiert“, deutete Fröleke einen Lebensstil an, der 100 Jahre später im Hier und Jetzt, vorsichtig gesagt, ein großes Thema wäre. In einem fiktiven Interview, das echte Aussagen Brechts enthielt, wurde der Schriftsteller vorgestellt. Jochen Heins, im markanten lindgrünen Bibliothekssessel sitzend, gab den Schriftsteller. „Das Ungepflegte hat mir noch nie geschadet und zudem habe ich einen kleinen Magen“, erklärte Brecht, warum er eine spindeldürre und ungepflegte Erscheinung war. Dass er mit 26 Jahren schon drei Kinder von drei Müttern hatte, konnte Brecht ebenfalls mehr oder minder schlüssig beantworten: „Ich ziehe durch die Stadt zu den schönen Mädchen und heule wie ein Wolf.“ Doch seine Frau Helene Weigel hielt es immerhin 30 Jahre an Brechts Seite aus: „Die im Dunkeln sieht man nicht.“
An die Wand wurden Bilder projiziert, unter anderem auch seine Reiseroute während des Exils, in das er während der Nazizeit angesichts seiner linken Gesinnung ging: Von Helsinki bis Zürich, von Moskau bis Santa Monica war er auf Achse, ehe er nach Deutschland, genauer gesagt in die DDR, zurückkehrte. Lars Kaschke, als Geschichtslehrer dafür prädestiniert, listete die aktuellen Kriege in der Welt auf und ließ Brecht selbst zu Wort kommen: „Der Krieg, der kommen wird, ist nicht der erste. Bei den Besiegten das niedere Volk hungerte. Bei den Siegern auch.“ Diese Zeilen Brechts, die Sören Tesch mit ruhigen Klaviertönen untermalte, ließen ob ihrer Weitsicht ein nachdenkliches Publikum zurück. „Erschreckend, wie aktuell das ist“, meinte nicht nur ein Besucher.
Schon damals hielt Brecht den Menschen den Spiegel vor und das Spiegelbild passt heute noch. So auch das Fressen, das vor der Moral kommt, und der Vergleich, wenn die Menschen kleine Fische und Haifische im Meer wären: „Gäbe es dort Religion, würden die kleinen Fische erst im Bauch der Haifische leben.“
Die Vortragenden, darunter Elke Heins, Kerstin Nowak und Wolfgang Hunze, sprachen von unterschiedlichen Stellen im Raum; die einen sprachen lauter, die anderen leiser. Doch ob laut oder leise, die Brecht’schen Weisheiten sind allzu wahr, seine Wahrheiten allzu weise. Auch deshalb wären mehr jüngere Menschen in einer solchen Lesung wünschenswert gewesen.
Ein bisschen heiter wurde es in den sogenannten Keunergeschichten, wo es unter anderem um die gerechte Aufteilung von 17 Kamelen ging. Das pfiffige Rechenspiel trug Helge Rehme, übrigens keine ehemalige Mathelehrerin, mit leichtem Schmunzeln vor, ehe das Publikum nach einem rundum gelungenen Abends in die Nacht entlassen wurde. Natürlich zur Melodie von Mackie Messer.
Aus dem Syker Kurier vom 30.11.2023
Von Karsten Bödeker