Dem Autor Erich Kästner widmeten Ulrich Hoferichter und Lars Kaschke einen ganzen Abend. In der gut besuchten Syker Bibliothek genossen die Zuschauer ihre Darbietung der präzisen Beobachtungen des Autors.

Michael Galian
Syke. Sie haben sich gesucht und gefunden. Seit zehn Jahren bringen Lars Kaschke, Lehrer im, und Ulrich Hoferichter, Lehrer außer Dienst, ihrem Publikum Literatur nahe. Ein halbes Dutzend unterschiedliche Programme haben sie im Repertoire. Diesmal ging es um Erich Kästner und die Frage: Muttersöhnchen und Don Juan? Nach anderthalb Stunden und langem Applaus des Publikums war die Antwort ein eindeutiges “Ja – und auch noch kritischer Pazifist”.
Kästner war schon in früheren Lesungen vorgekommen – ob es um Liebe oder Lüge in der Literatur oder Literatur zwischen den Kriegen ging. „Wir fanden, dass Kästner auch einen ganzen Abend füllt“, so Kaschke, „und dann hat Ulrich das ausgearbeitet.“ Ob „Ulrich“ als Ruheständler einfach mehr Zeit, mehr Muße oder mehr Zugang zu Kästner hatte, war egal. Zwar hatten Kaschke und Hoferichter sich bei früheren Auftritten durchaus schon mehr geneckt und sich die verbalen Bälle schärfer zugeworfen, doch war auch dieser Auftritt wieder mal sympathisch, informativ und unterhaltsam.
Ein bisschen verlegen sind die beiden übrigens trotz aller Routine noch immer auf der großen Bühne, die auch diesmal ein kleiner Tisch in der mit knapp 70 Menschen gut gefüllten Syker Bibliothek war. Oder entsprang diese leichte Verlegenheit auch dem Fremdschämen für die amourösen Abenteuer, die Kästner nicht nur körperlich auslebte, sondern in teilweiser peinlicher Detailfreude seiner Mutter regelmäßig schriftlich mitteilte? Freud hätte seine Freude gehabt, kommentierte Kaschke sinngemäß.
Kästners Mutter Ida erfuhr regelmäßig über neue und Ex-Freundinnen, so manches Mal, bevor es die jungen Damen selbst erfuhren. Von den selbstständiger werdenden Berliner Frauen und deren Bürojobs hielt er nicht viel, teilte er in seinen Briefen nach Dresden mit. Seine neue Freundin dagegen sei ein lieber Kerl, aber viel zu verliebt. Die eigene Mutter-Sohn-Beziehung habe Kästner in seine Werke übertragen, so betrieb Mutter Tischbein in “Emil und die Detektive” ebenso einen Frisiersalon in der heimischen guten Stube wie Ida Kästner in ihrem Wohnzimmer. „Die gütige Mutter und der einzige Sohn sowie dessen Verantwortungsgefühl für die Mutter, das zog sich durch seine Werke“, so Kaschke und Hoferichter.
Zitate und Berichte wechselten sich ab, es entstand ein Bild von Kästner und seinen Motiven. Früh ins Internat geschickt, lehnte sich der eigentlich gewissenhafte und fleißige Schüler auf, wurde renitenter und verarbeitete auch das schriftlich. Die Geschichte „Kinderkaserne“ war nur ein Beispiel dafür. Als zeitlos und bestürzend bezeichneten Kaschke und Hoferichter Kästners Werke ab Mitte der 1920er-Jahre. Treffend und kritisch (und leider auch vorausschauend) kommentierte er die gesellschaftlichen Entwicklungen und sah nicht nur die Nazi-Diktatur vorher. Gerade Kaschkes Vortrag wurde bei diesen Themen emotionaler. So mache die Geschichte von den Streichhölzern traurig. Präzise war Kästner in seinen Beobachtungen, mal bissig, mal humorvoll. Dem Spießbürgertum hielt er in Gedichten den Spiegel vor. „Die Verwandtschaft blickt in die Landschaft, der Landschaft ist es egal.“
Aus dem Syker Kurier vom 01.12.2023
Autor: Karsten Bödeker