
Lesung mit überraschenden Aussagen
Syke. Kaschke und Hoferichter waren wieder da. Dr. Lars mit Vornamen der eine, aktiver Lehrer von Beruf, Ulrich, Lehrer im Ruhestand der andere, hatten in den letzten Jahren schon bei verschiedenen Lesungen für Unterhaltung mit Aha-Effekt gesorgt. Dieser Aha-Effekt gelang ihnen diesmal noch ein bisschen mehr, als sie keine Geringeren gaben als die berühmten Engels und Marx, Friedrich der eine mit Vornamen, Karl der andere, Philosophen von Beruf. „Marx und Engels – intim“ heißt das Werk, als Hörbuch gesprochen von Gregor Gysi und Harry Rowohlt, begleitet von einer Erzählerin. In der Syker Stadtbibliothek war das Katharina Wittneben, die die Erklärungen gab, wenn Hoferichter & Kaschke die Philosophen rezitierten. „Ihre Briefe empören heute mehr als damals Mitte des 19. Jahrhunderts“, kündigte Wittneben an. Tatsächlich zogen Marx und Engels sprachlich durchaus überlegt und interessant aber mit derben Worten über alles und jeden her, lästerten sogar über die Arbeiterklasse und waren fremdenfeindlich und antisemitisch. So kannten zuvor wohl die wenigsten der 30 Gäste die Helden der Arbeiter- und Bauernbewegung. „Das waren Formulierungen, die man auch Kaiser Wilhelm und Hitler hätte zurechnen können“, so Kaschke. Während Engels aus einer Unternehmerfamilie stammte, hatte Marx zeitlebens Geldsorgen, was schon der Vater in Briefen an den Sohn beklagte. Später hoffte Marx auf den Tod eines Onkels, den Engels ob des hohen Alters als Erbschaftsverhinderer bezeichnete. Schon bald konnte Marx ihm vom Tod, dem „very happy event“, berichten, doch „wehe, der alte Hund hat sein Geld der Haushälterin vermacht“. Deftig ging es weiter gegen andere Nationalitäten und Religionen. So sei die „Germanisierung der abtrünnigen Belgier und Niederländer eine politische Notwendigkeit“. Mit Erstaunen hörte das Publikum zu. Marx, der selber jüdischen Vorfahren hatte, empörte sich über „garstige jüdische Physignomie“. Ferdinand Lasalle, Initiator der Arbeiterbewegung, wurde ebenfalls rassistisch angegangen und als „jüdischer Nigger“ bezeichnet. Wittneben wies zwischen den Briefen auf den bizarren Widerspruch hin, denn Marx selbst wurde wegen seiner Locken ebenfalls als Mohr bezeichnet. Für psychologische Analysen der Formulierungen, einige davon sogar in Zeitungen abgedruckt, blieb in der Syker Stadtbibliothek jedoch kein Raum. Nach den Toden von Marx und Engels ging einiges verloren. In den 1930er Jahren sammelte Dawid Rjasanow, Leiter des Moskauer Marx-Engels-Instituts, alles der beiden, was er finden konnte. „Das machte ihn so verdächtig, dass man ihn vorsichtshalber erschießen ließ. Man kann ja nie wissen bei so neugierigen Menschen“, erklärte Wittneben. Vieles sei somit gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen. Vielleicht hätte es die Menschen irritiert und ernüchtert, die in den Arbeiter- und Bauerstaaten so viel auf Marx & Engels gaben. Dabei hatten die in ihren Briefen dich die Bauernschaft als stupide bezeichnet, die Arbeiter seien „komplette Esel und nicht mal gut als Kanonenfutter“. Mit leichter Ironie schloss Wittneben den Abend: „Marx & Engels haben bestimmt auch mal was Nettes gesagt.“ Doch das wäre Hoferichter & Kaschke bestimmt zu langweilig gewesen. von Karsten Bödeker – Weserkurier 21.05.2022