Jessica Durlacher – Die Stimme

Am 11. September 2001 werden die aus den Niederlanden stammenden jüdischen Eheleute Zelda und Bor gemeinsam mit ihren drei Kindern Zeugen des islamistischen Attentats auf das World Trade Center in New York. Sie rennen durch Schutt und Rauch um ihr Leben. Zelda versteht sofort: ” Sie überbringen uns eine Botschaft: In dieser Welt der Gewalt spielt es keine Rolle, was du tust oder wer du bist, du stehst nur zur Verfügung, als anonymes Menschenmaterial, das man töten kann, mir nichts dir nichts, ein Gestus höchster Macht. Das ändert alles, nichts ist mehr sicher.” (Zitat, S.33) Zurück in den Niederlanden, begegnet Zelda der muslimischen Somalierin Amal, die auf sie eine hohe Anziehungskraft ausübt. Weil Zelda gegen ihre Angst ankämpfen will, nimmt sie gerade deshalb Amal aus dem Flüchtlingsheim in der Nähe als Kindermädchen bei sich auf. Amal hat eine ganz besondere Stimme; sie singt manchmal, wenn Zeldas Sohn Sam auf dem Klavier spielt. Die Familie meldet Amal daraufhin zu einem Wettbewerb bei einer TV-Sendung “Die Stimme” an. Niemand kann sich zu diesem Zeitpunkt vorstellen, welche Auswirkungen dies auf die Familie haben wird. Während eines spektakulären Bühnenauftritts vor einem Millionenpublikum wirft Amal ihr Kopftuch ab und gibt dies als Protest gegen die Unterdrückung muslimischer Frauen zu verstehen. Sofort erreichen Amal Hass- und Morddrohungen, die sie zwingen, sofort unterzutauchen. Zelda und Bor lassen Amal bei sich im Gartenhaus wohnen. Ein Security-Dienst wird organisiert, der die Somalierin Tag und Nacht bewacht. Erst langsam registrieren sie, dass die gesamte Familie in großer Gefahr ist und sind hin- und hergerissen zwischen Zivilcourage und der Angst vor möglichen Folgen. Letztendlich bezahlt die Familie einen sehr hohen Preis.

Es gelingt der Autorin, die Charaktere der einzelnen Protagonisten sehr feinfühlig und genau herauszuarbeiten. Besonders hat mich die Figur des ältesten Sohnes Philip beeindruckt, der die Haltung seiner Mutter immer wieder hinterfragt und u.a. daraus für sich eine bedeutende Entscheidung für sein Leben trifft (Er geht zum israelischen Militär und anschließend zum Geheimdienst.). Der Roman fordert das Nachdenken über die eigene Haltung des Lesers/ der Leserin heraus: Wie würde man selbst mit islamistischem Hass umgehen? Wäre man bereit, eine bedrohte Person bedingungslos zu schützen? Wo genau wären die Grenzen? Ein schonungsloses und aufrüttelndes Buch, über das ich lange nachdenken musste… Jessica Durlacher ist die Tochter des Schriftstellers Gerhard Durlacher, der als einziger seiner Familie den Holocaust überlebt hat. Sie beschäftigt sich u.a. auch mit Auswirkungen des Holocausts auf das Leben späterer Generationen.

Verlagsinformationen sind zu finden unter Diogenes.

Annemarie Stoltenberg nennt das Buch im NDR Kultur “einen echten Pageturner”. Hier geht es zum Beitrag.

Einen weiteren Hörbeitrag gibt es im Deutschlandfunk Kultur. Hier geht es zum Beitrag.

Jutta Duhn-Heitzmann schreibt über den Roman im WDR. Hier geht es zum Beitrag.

Das Buch befindet sich im Bestand der Bibliothek, jedoch (noch) nicht in der Onleihe.

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