Andrej Kurkow – Samson und Nadjeschda

Im Jahr 1919 hat die Russische Revolution auch Kiew erfasst. Die Versuche, einen unabhängigen ukrainischen Staat zu gründen, sind gescheitert. Eine neue Zeit bahnt sich an, mit all ihren Umbrüchen und fremden Ideen. Dass diese Zeit nicht ungefährlich ist, muss Samson selbst erleben, als er seinen Vater und ein Ohr an marodierende Kosaken verliert. Schicksal also, dass der junge Mann seinen Weg zur neu geformten sowjetischen Polizei findet. Doch schon sein erster Fall stellt ihn vor Rätsel, die er allein nicht lösen kann. Nur gut, dass Samson die patente Nadjeschda kennenlernt, mit der ihn schon bald mehr verbindet. Die entscheidende Hilfe kommt aber aus einer gänzlich unerwarteten Ecke, denn wie sich herausstellt, kann Samson mit seinem abgetrennten Ohr weiterhin hören. Eine Fähigkeit, die ihm noch auf wundersame Weise das Leben retten wird. (Klappentext)

Andrej Kurkow ist einer der wichtigsten zeitgenössischen ukrainischen Autoren, der in russischer Sprache schreibt. Er ist Präsident des ukrainischen PEN. Der Guardian nennt Kurkow einen “ukrainischen Murakami”, weil dieser märchenhafte Elemente einfügt, obwohl dieser Vergleich aus meiner Sicht nicht ganz stimmig ist. Der Roman wurde in der Ukraine noch vor dem russischen Angriffskrieg veröffentlicht. Wenn der Autor schreibt, dass man in Kiew “1919 beim Verlassen des Hauses nicht sicher sein konnte, ob man zurückkam” und darum das “Allerwichtigste, Fotos der Liebsten, Dokumente gewiss bei sich in der Tasche nahe am Herzen” trug, denkt man beim Lesen unwillkürlich an Raketenbeschuss, die Bilder zerstörter Städte und zivile Opfer. Damit ist Samson und Nadjeschda auch zu einem Roman über die Gegenwart geworden. Eine Fortsetzung ist geplant.

Das Buch ist im Bestand der Stadtbibliothek vorhanden, jedoch (noch) nicht in der Onleihe.

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Kerstin Nowak

Joachanan von Shellien schreibt im NDR Kultur:

Andrej Kurkow hat seine Worte sorgsam gewählt. Kein Aspekt bleibt ohne Widerhall, kein Hinweis ohne handlungstreibenden Sinn, jede Nahaufnahme birgt ein Indiz. Und wie in Hitchcocks “Psycho” der Duschvorhang zieht seine Lakonie das Publikum in seinen Bann und wirkt wie Glutamat.

Uli Hufen rezensiert im WDR:

Der Krimi ist für Kurkow Mittel zum Zweck. Worum es Kurkow eigentlich geht, das ist das Porträt einer Epoche. So verworren die Ereignisse der Jahre 1917 bis 21 sind, so umstritten sind sie als zentrale Episode der ukrainischen Nationswerdung.

Franz Göttler schreibt in der Süddeutschen Zeitung:

Die Kommunikation, die unermüdliche Solidarität, von der Kurkow erzählt, ist märchenhaft in ihrer Lust an der Improvisation, wird motiviert von behutsamer Aufbruchstimmung.

Andrej Kurkow äußert sich am 24.03.2022 in der Tagesschau über die Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine.

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