Katerina Poladjan – Zukunftsmusik

Die Autorin schreibt ihren Roman über einen einzigen Tag, den 11. März 1985, den Beginn der Ära Gorbatschow, einer Zeitenwende, die den Bewohnern einer sibirischen Kommunalka nicht bewusst ist. Nach dem Tod des Generalsekretärs Tschernenko spielt Chopins Trauermarsch im Radio. Die sechs Mietparteien in dieser Wohngemeinschaft sind wahllos zusammengewürfelt, “vom Zugschaffner bis zum Professor, und erleben am eigenen Leib das demütigende Experiment einer sowjetischen Gesellschaft ohne Privatsphäre oder Individualität”(Zitat Olga Hochweis, DLF Kultur). Die 20jährige Janka lebt mit ihrer kleinen Tochter, ihrer Mutter und ihrer Großmutter zusammen in einem Zimmer. Sie arbeitet nachts in einer Glühlampenfabrik und schreibt wütende Songs. In der Küche soll am Abend ein Konzert stattfinden, doch ihre Gitarre ist kaputt… Ihre Großmutter hilft an diesem Abend im Krankenhaus aus, wo sie eine 18jährige entbindet, die ihr das Baby überlassen will. Der überzeugte Kommunist Matwej Alexandrowitsch glaubt an die “große Idee”, selbst, wenn es in der ganzen Stadt keine Schokolade mehr zu kaufen gibt.

Die einzelnen Szenen spielen wie auf einer Drehbühne im Theater; mit wenigen Worten schreibt die Autorin über existentielle Themen; dabei sind die Leichtigkeit und der Humor in ihrer Sprache beeindruckend. Oft schreibt Katerina Poladjan “zwischen den Zeilen”, sodass sich mir die Bedeutung manchmal erst beim zweiten Lesen erschloss. Das Buch stand auf der Auswahlliste für den Leipziger Buchpreis 2022. Es ist im Bestand der Stadtbibliothek vorhanden, jedoch (noch) nicht in der Onleihe.

____________________________________________

Kerstin Nowak

Im NDR bemerkt Katja Eßbach:

“Die Autorin folgt einigen der Kommunalka-Bewohnerinnen und -Bewohner durch ihren Alltag. Das ist manchmal bedrückend, aber viel häufiger empfindet man mit ihnen gemeinsam das Glück eines schönen Moments. Leben findet einfach immer und überall statt.”

Maike Abbat schreibt in der Süddeutschen Zeitung:

“Ihr gelingt ein kleines, schimmerndes Alphabet der Gefühle in der späten Sowjetunion.”

Olga Hochweis rezensiert den Roman im DLF Kultur:

“Auch stilistisch ist die Lektüre dieses trotz seines geringen Umfangs lang nachhallenden Romans ein Genuss, nicht zuletzt dank der kleinen Verbeugungen vor der Literatur Tschechows und anderer großer russischer Schriftsteller. Gerade in diesen Zeiten erinnert uns dieser Roman, dass Menschen in Russland bessere Regime verdient haben.”

Der Literaturkritiker Denis Scheck äußert sich in einem Hörbeitrag im WDR:

“Katerina Poladjan hat mit `Zukunftsmusik´einen der ganz großen Gegenwartsromane geschrieben, den man jetzt in Zeiten des Kriegs anders liest als noch in der Zeit des Friedens.”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert